„Ein bewegendes Stück über Deutschlands koloniales Erbe.“ (KulturKenner)
Mit Schlittschuhen an den Füßen und Funkkopfhörern auf den Ohren tauchen Sie ein, in ein wahrhaft doppelgründiges Erleben im Kölner Lentpark: Da ist Sarah, die den Eislauf-Schnupperkurs „Manchmal tut’s auch weh“ anbietet; und Herr Montenero – der Hausmeister – weiht in das Geheimnis des glatten Eises ein. Doch dann meldet sich eine brüchige Stimme zu Wort und spricht vom Kilimandscharo als Kaiser-Wilhelm-Spitze. Eine längst vergangene Zeit drängt an die Oberfläche: 1884/85, wenige Jahre nachdem in Frankfurt die erste Eisbahn Deutschlands eröffnet wurde, fand die Berliner Afrika-Konferenz statt. Ihr Schlussdokument, die Kongoakte, stellte den Startschuss dar für den Wettlauf um Afrika. Innerhalb von drei Jahrzehnten unterwarfen die Europäer den Kontinent fast vollständig ihrer Herrschaft, beuteten das Land und die Menschen aus. Der transatlantische Sklavenhandel und Kolonialismus wirken bis in die heutige Zeit – auch in Köln.
In Zusammenarbeit zwischen Schwarzen* und weißen* Künstler:innen ist ein Stück entstanden, das die Narrative und Kontinuitäten aufzeigt, die dazu geführt haben, dass Deutschland so lange als weiß und Schwarze Menschen als die „Anderen“ imaginiert wurden.
COLONIA ON EIS ist ein immersiver Abend auf der Eisbahn zum Selberlaufen, Zuhören, zum Verlernen, zum Neulernen, zum Heulen und zum Zeitreisen. Mit Beats und Hits, die in die Kufen gehen, mit Kunstschnee und Kunsthasser:innen, mit Profis, Amateur:innen und Anfänger:innen. Lasst uns alle bessere Eisläufer:innen werden!
Triggerwarnung: Rassismus und Kolonialismus
*In der diskriminierungssensiblen Sprache wird Schwarz groß geschrieben, als gesellschaftspolitische Positionierung und vor allem selbstgewählte Bezeichnung, weiß kursiv als dominante und privilegierte Position, die zumeist nicht benannt wird.
Idee, Konzeption & Künstlerische Leitung: Karin Frommhagen, Azizè Flittner & Lionel Somé, WA Karin Frommhagen / Idee & Dramaturgie: Philine Velhagen / Text: Marie Noëll Ntwa Ydjumbwiths, Sarah Schnier, Philine Velhagen & Ensemble / Schauspiel: Azizè Flittner, Mirka Ritter, Tomasso Tessitori, Mekdelawit Benti, Luzolo Kiangebeni, Regina Rösing, Sunga Weineck / Ausstattung: Regina Rösing / Stimmen: Florence Adjidome / Marc Fischer / Anja Jazeschann / Naiyango / Gisela Nohl & Ensemble / Musik & Ton: Ralph Lennartz / Technische Realisation: Ralph Lennartz & Thomas Allan / Licht & Effekte: Andreas Winkelmann / Produktionsleitung: Karin Frommhagen & Raphael Spiegel / Produktionsassistenz: Genoveva Allan / Kommunikationsdesign: Ute Brachwitz / PR: neurohr & andrä / Fotografie: Michael Bause und mit Statist:innen
Mit Gedanken und Recherchen von: Pamela Aryeh, Uan Asmerom, Prof. Dr. Marianne Bechhaus-Gerst, Christa Fischer, Bassam Ghazi, Maga Gokiert, Roland Herres, Marie Köhler, Hanna Kunas, Nancy MacGranaky-Quaye, Beshid Najafi, Pauline Raczkowski, Anja Schwarz, Konrad Wolf
Pressestimmen
„ Die Geschichte der Eisrevue ist mehr als hundert Jahre alt; dass das Publikum nicht nur zuguckt, sondern mitläuft, dürfte eine echte Weltpremiere sein. Freilich ist „Colonia on Eis“ kein Holiday, in die munteren Anweisungen der Trainerin mischen sich plötzlich ganz andere Stimmen. Man vernimmt – „Der Himmel über Berlin“-mäßig – die Gedanken seiner Mitläufer. Ängstliche, wütende Gedanken, die sich alle um die Hautfarbe drehen, die sich am deutlichsten vom Weiß der Eisfläche abhebt, also ums Schwarzsein, ums Angeglotzt- oder Bemitleidetwerden, um das Auffallen in einer Gesellschaft, die daraus einen Unterschied macht, weil sie das Erbe des Kolonialismus noch lange nicht abgeschüttelt, beziehungsweise unter einer dicken Eisschicht verborgen hat. … Zum Gedankenstrom der Schlittschuhfahrer kommen jetzt andere Stimmen hinzu, lesen aus historischen Quellen vor, etwa aus der „Kölnischen Zeitung“, die von so beworbenen „Amazonen“ aus Togo berichtet, die in Castans Panoptikum in der Hohe Straße zur (erotischen) Unterhaltung der Kölner Bürger vorgeführt wurden, von deren Taufe im Kölner Dom, oder dem Lungenentzündungstod einer erst 16-jährigen „Amazone“ … Und man hört noch einmal den 2019 in Köln verstorbenen Theodor Wonja Michael … erzählen, wie er während der Nazi-Diktatur so gut wie alle schwarzen Deutschen als Statisten auf Dreharbeiten von Kolonialfilmen kennenlernte, wie er stets fürchtete, sogleich nach Ende des Drehs abtransportiert zu werden. … Was im ersten Moment fast lachhaft absurd erschien – Kolonialismuskritik on Ice – erweist sich nach 90 Minuten als Großmetapher Moby Dick’schen Ausmaßes.“
Christian Bos, Kölner Stadt Anzeiger, 08. November 2022
„Im Laufen oder besser Schliddern auf dem Eis hat die Produktion von intakt e.V. ein starkes Sinnbild gefunden, das gleich zwei Tatsachen für das Publikum erfahrbar macht: Zum einen die Unsicherheit, die Betroffene durch etablierte (Alltags-)Rassismen empfinden. Zum anderen die steile Lernkurve, die es braucht, damit wir die Aufarbeitung gesamtgesellschaftlich bewältigen können. Dass „Colonia on Eis“ von Schwarzen und weißen Künstler*innen gemeinsam realisiert wurde, zeigt einmal mehr, wie wichtig der Dialog ist.
So bleibt dieser Theaterabend im Gedächtnis. Nicht nur aufgrund seines außergewöhnlichen Settings und der brisanten Thematik, sondern vor allem aufgrund des eindrücklichen, immersiven Erlebens. Politisches Theater par excellence.
Auszug aus der Laudatio zum Kurt-Hackenberg-Preis von Jan Stangier, 05. Dezember 2022
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Kulturamt Stadt Köln
Eine Produktion von intakt e.V. in Kooperation mit KölnBäder, Kulturwirbel.